Station 3 – Stolperstein für Magnus Lehmann

Beitrag des Eric-Kandel-Gymnasiums

Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer des 11. Gangs des Erinnerns,

Als Schüler der Klasse Ed, des Geschichtsprofils des Eric-Kandel-Gymnasiums in Ahrensburg, haben wir uns im Zuge der Veranstaltung zum 9. November 1938 mit den Biografien der Familien Lehmann und Eickhorst auseinandergesetzt, denn beide jüdischen Familien aus Ahrensburg blieben von den Handlungen der Nationalsozialisten nicht verschont. Daher machen wir es uns heute, 84 Jahre nach der Novemberpogromnacht, zur Aufgabe, an sie zu erinnern.
Aus diesem Grunde überlegten wir uns, fiktive Briefe unsererseits an die jeweilige Familie zu verfassen, in denen wir unser persönliches Anliegen an sie äußern können.

Brief an Familie Lehmann

Sehr geehrte Familie Lehmann,
Sie, wie auch viele andere jüdische Familien in Deutschland, mussten sehr viel Leid und viele Ungerechtigkeiten ertragen. Ihre Familie war mit Ihrem Getreide- und Futtermittelgeschäft der größte Arbeitgeber in Ahrensburg und seit mehr als 100 Jahren betrieben Sie das Geschäft äußerst erfolgreich. Sie wurden in dieser Stadt sehr geschätzt, bis die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kamen. Viele Ihrer Familienmitglieder wanderten aus, Sie aber entschieden sich dagegen und blieben in
Ahrensburg.
Ihre Villa in der Hagener Allee wurde für einen Spottpreis von 25.000 RM verkauft, obwohl sie eigentlich mindestens 40.000 RM wert war. Alleine schon ein Futtermittelgeschäft abzugeben, nur weil Sie dem jüdischen Glauben angehörten, war furchtbar. Aber dann auch noch sein eigenes Haus zu verlieren und nur einen Bruchteil des Wertes zu erhalten, war unmenschlich.
Außerdem wurden Ihre Konten gesperrt und so hatten Sie keinen Zugriff mehr auf Ihr eigenes Geld. Letztlich wurde Ihr Vermögen vom Staat einfach eingezogen. Über viele Generationen hatten Sie Ihr Geschäft geführt und trotzdem wurde Ihnen alles genommen.
Nach dem 9. November 1938 wurden die männlichen Mitglieder Ihrer Familie in das Konzentrationslager Sachsenhausen deportiert. Deshalb entschieden Sie sich, nach Südamerika auszuwandern. Eines Ihrer Familienmitglieder, Magnus Lehmann, für den es heute hier in Ahrensburg einen Stolperstein gibt, schaffte es nicht. Er wurde am 4. Dezember 1941 nach Minsk deportiert und dort ermordet.
Nach 1945 erhielten Sie für die Ihnen geraubten Gegenstände zwar eine Entschädigung, diese war jedoch viel zu niedrig und nicht alles wurde Ihnen zurückerstattet. Den emotionalen Verlust kann Ihnen ohnehin niemand wiedergutmachen. Wir können uns kaum vorstellen, wie schrecklich das alles für Sie gewesen sein muss. Als wir uns mit Ihrer Geschichte näher beschäftigten, kam Wut in uns auf und wir fragten uns, wie grauenvoll Menschen mit anderen Menschen umgehen können.
Sie sind eine bemerkenswerte Familie, nach der zurecht in unserer Stadt eine Straße, der Lehmannstieg, benannt wurde und wir freuen uns sehr, dass mit Eric Lehmann am 9. November ein Nachfahre zu uns nach Ahrensburg kommen wird, um gemeinsam mit uns am Gang des Erinnerns teilzunehmen.
Ihre Klasse Ed des Eric-Kandel-Gymnasiums

Brief an Frau und Herr Eickhorst

Sehr geehrte Frau und Herr Eickhorst,
es würde Sie sicherlich freuen zu erfahren, dass die “Adler Apotheke” für die Bewohner der Stadt Ahrensburg bis zum heutigen Tage eine zentrale Rolle spielt. Ebenso war sie uns, den Schülerinnen und Schülern der 10. Klasse des Ahrensburger Eric-Kandel-Gymnasiums, bekannt, jedoch nicht die Geschichte hinter ihr, an welcher Sie ganz besonders teilhaben.
Ihrer Biografie können wir entnehmen, dass Sie, Gertrud Eickhorst, nach Ihrem abgeschlossenen Pharmaziestudium die Adler Apotheke aus dem Besitz Ihres Vaters ablösten.
Daraufhin führten Sie diese mit Ihrem nichtjüdischen, aus Bargteheide stammenden Mann Friedrich Eickhorst bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 äußerst erfolgreich.
Sie waren unter den Mitbürgern eine hoch angesehene und wertgeschätzte Apothekeninhaberin. Natürlich hatten es die Nationalsozialisten auf Sie abgesehen. Doch gegen versuchte Unternehmungen, Sie aus Ihrer eigenen Apotheke zu vertreiben, kämpften Sie stets an. Sich bis zum letzten Moment, der Verhaftung Frau Eickhorsts wegen “auffälligen Verhaltens” und Ihrer anschließenden Internierung im Frauenzuchthaus in Lübeck, zu wehren, scheint für uns nachvollziehbar, aber keineswegs selbstverständlich. Genauso bemerkenswert ist in unseren Augen der Zusammenhalt zwischen Ihnen als Ehepartner. Herr Eickhorst, Sie wandten sich trotz der Angst vor Konsequenzen nicht von Ihrer Frau ab. Als das Frauenzuchthaus zu Ihnen meinte, Sie könnten Ihre “Judensau” wieder haben, wenn Sie wegzögen, hielten Sie zu Ihrer Frau und nahmen dafür eine Flucht nach Hamburg und ein
Leben im Untergrund in Hammoor in Kauf.
Die Apotheke wurde am 1. Oktober 1936 an einen anderen Apotheker zwangsverpachtet. Dass Sie als Ehepaar Eickhorst nichts vom Kaufpreis abbekamen, brauche ich wohl nicht zu erwähnen. Doch als Sie, Frau Eickhorst, nach Kriegsende nach Ahrensburg zurückkehrten, gaben Sie nicht auf. Sie erkämpften sich über lange Wege die Rückgabe Ihrer Apotheke. Sie ließen sich nicht von bitteren Rückschlägen, wie etwa einer Räumungsklage durch den neuen Besitzer, unterkriegen. Als Sie beim Wiedergutmachungsamt einen Antrag wegen körperlicher Schäden stellten, besaß die Behörde tatsächlich die Dreistigkeit, diesen vorerst abzulehnen. Noch frecher ist die Begründung dafür: Ihre Inhaftierungsdauer betrug “nur” drei statt vier Wochen.
Wir sind zutiefst beschämt über dieses Verhalten Ihnen und Ihrer Familie gegenüber. Zu wissen, dass Menschen ihre Menschlichkeit verlieren und der Hass die Menschen so schnell einnehmen kann, ist erschreckend. Umso bewundernswerter erscheinen uns Ihr Kampfgeist sowie das Durchhaltevermögen, welches sich schlussendlich als zielführend erwies. Sie konnten die Arbeit in Ihrer Apotheke einige Jahre nach 1945 bis 1973 wieder aufnehmen. Danach zog die Adler Apotheke mit Ihrem Nachfolger in die Hagener Allee um, wo sie bis heute erfolgreich
betrieben wird.
Obwohl Sie genau wussten, dass Ihnen das Konzentrationslager und somit der Tod drohte, bewiesen Sie großen Mut und unglaubliche Stärke. Wir sind heute hier, um an eine Ahrensburger Jüdin zu erinnern, die nie aufgehört hat, für sich und ihr Recht zu kämpfen.
Sie, Frau Eickhorst, sind nicht nur Opfer des Nationalsozialismus, Sie sind ein Teil unserer Stadt. Wir können aus Ihrer Geschichte Lehren ziehen, die uns Ahrensburgern zu einem friedlicheren Zusammenleben ohne Ausgrenzung verhelfen.
Ihre Klasse Ed des Eric-Kandel-Gymnasiums